Die Beguinen in den Niederlanden
Einer der wichtigsten Knotenpunkte in der Entwicklungsgeschichte des europäischen Menschheitslebens ist die hundertundfünfzigjährige Periode vom Anfange des 12. bis zu der Mitte des 13. Jahrhunderts. Ein ungemein lebendiges Drängen und Kämpfen entbrennt in den Gemüthern gegen und für die Strenge des christlich-kirchlichen Lehrbegriffs und wiederum der beiden Hauptparteien, jede für sich und auf ihre Art, gegen den sittlichen und religiösen Verfall der Gesellschaft, insbesondere der Geistlichkeit. Mit dem furchtbar blutigen Kampfe der Kirche gegen die auf die einfache Apostellehre zurückgehenden Albigenser und Waldenser ging die Bildung neuer geistlicher Ordensverbrüderungen, besonders die der Bettelmönche, Hand in Hand, um dem neuerwachten religiösen Bewußtsein innerhalb der Kirche selbst neue entsprechende Bahnen zu ebnen. Die bloße Asketik des Klosterlebens genügte nicht mehr; sie mußte mit dem praktisch thätigen Eingreifen in die Lebensentwicklung verschmolzen werden.
Aus dieser reich bewegten Zeit ging auch der erste weltliche Verein frommer Frauen zu sittlich religiösen und praktischen Zwecken hervor, ganz besonders zu dem Zwecke, um die sittlich verkommene gesellschaftliche Stellung der Frauen der mittlern Stände wieder auszubessern und zwar nicht durch strenge Abgeschlossenheit von der Welt, sondern besonders durch Uebung der Krankenpflege, Beschützung Verlassener, Rettung Gefallener und Erziehung Unmündiger. Diese Frauen führten den Namen der Beguinen oder Beghinen und führen ihn heute noch von ihrem Stifter Lambert le Begues (der Stammler), einem Priester zu Lüttich. Sie bilden eine nicht unbedeutende Sprosse in der Stufenleiter der sittlich-socialen Entwickelung der letzten Jahrhunderte des Mittelalters und sind deshalb einer nähern Betrachtung würdig.
Das sittlich-kirchliche Leben war damals arg in Schmach und Schande versunken, die Geistlichkeit wälzte sich im Schlamme niedriger Lüste. Die Gesittetsten waren noch die, welche sich über das Gebot des Cölibats hinwegsetzten und sich förmlich verheiratheten. In Lüttich war zu Ende des zwölften Jahrhunderts Unzucht und Schlemmerei bei der Geistlichkeit ungewöhnlich stark im Schwunge. Der Fürstbischof von Lüttich, Raoul (Radulphus), ein Lothringer, ging Allen mit dem schlechtesten Beispiele voran und übte den verderblichsten Einfluß auf die Sitten der ihm untergeordneten Geistlichkeit und der Bevölkerung des Landes. Schon früher wegen der schamlosesten Simonie als Erzbischof von Mainz vertrieben, steigerte er die Verhöhnung religiöser Zucht und Ordnung bis zu dem Wahnwitz, daß er die geistlichen Stellen durch seinen Scharfrichter Udelinus auf dem Markt Lüttichs öffentlich versteigern ließ. Aus diesem einen Zug läßt sich auf das wüste Zerrbild der ganzen Gesellschaft schließen und abnehmen, zu welcher schmutzigen Verworfenheit das Weib, die Hüterin der Sitte und die Vorsteherin eines keuschen geregelten Lebens, herabgedrückt sein mußte.
An einen gesetzlich gegliederten Verband der Kirche war nicht zu denken, nur die schlechten Auswüchse der Klerisei ordneten sich dem verbrecherischen Oberhaupte unter. Die bessern Priester entzogen sich der Oberherrschaft des Bischofs und wanderten amtlos im Lande umher zur Verrichtung der Sacramente. Es konnte nicht fehlen und ist der bessern Menschennatur, die durch ihren Gegensatz stets gestählt wird, angemessen, daß es darunter Männer gab, denen es mit wahrer Religiosität und einer derselben angemessenen Lebenseinrichtung ein Ernst war und die ihrer Entrüstung über die Liederlichkeit der höhern Geistlichkeit muthige Worte gaben.
Unter diesen Ehrenmännern zeichnete sich Lambert le Begues durch Frömmigkeit, Sittenstrenge und freimüthigen gegen das Verderbniß der Obern gerichteten Eifer aus. Daß der Mann geistigen Scharfblick besaß, beweist der Weg, den er einschlug, um die im Lasterpfuhl versunkene Menschheit auf die reinliche Höhe eines gesitteten Lebens zu retten, beweisen die rechten und zweckmäßigen Mittel, die er anwendete, um sein schönes Ziel zu erreichen. Er hatte begriffen, daß, wer die sittlich verdorbene Gesellschaft bessern will, bei den Frauen anfangen muß. Sein nicht unbeträchtliches Vermögen wandte er zu einer eigenthümlichen Stiftung auf, um unverheirathete Frauen zu einem gottgefälligen Leben zu vereinigen. In einem ihm gehörigen großen Garten in der Nähe der Stadt ließ er eine nicht kleine Anzahl einzelner Häuschen erbauen, die er Jungfrauen und Wittwen ohne Unterschied des Standes und Vermögens unter der Bedingung zu Wohnungen gab, daß sie keusch und züchtig, arbeitsam und verträglich zusammen lebten, und in der Mitte des Gartens eine kleine Kirche für seine Pfleglinge. Sämmtliche Bauten waren in zwei Jahren vollendet, und am 2. März 1184 wurde die Kirche dem heiligen Christoph geweiht. Die Oberaufsicht über seine Stiftung übertrug Lambert einem von ihm angestellten Priester. Die hier zusammenlebenden Frauen erhielten vom Volke den Namen Beguinen (Stammlerinnen), vom Zunamen des Stifters le Begues abgeleitet, und es war dies höchst wahrscheinlich anfangs ein Spottname, wie Geusen, Hugenotten etc.
Dies ist der Anfang der nachher so großen und berühmten Vereinignug der Beguinen und der erste Beguinenhof.
Der fromme Lambert, nach einer in der großen Lambertus-Kirche gehaltenen Strafpredigt von seinen wüthenden Feinden, den vornehmen Pfaffen, überfallen und gemißhandelt, wurde von den Häschern des Bischofs gefangen nach dem nahen Castell Revogue geführt. Bei dieser seiner Verhaftung in der Kirche soll er, der Sage nach, den baldigen Untergang dieser Kirche prophezeit haben. Als nun die Kirche während seiner Haft wirklich durch die Unvorsichtigkeit eines Glöckners abbrannte, wurde er von seinen Feinden der Zauberei angeklagt, aber die vom Bischof angeordnete Untersuchung konnte keinen Tadel an Lambert finden, der, da das Volk über seine ungerechte Haft murrte, freigelassen nach Rom wanderte, um sich beim Papst Urban III. zu rechtfertigen. Dieser sprach den frommen Priester von jeglichem Vorwurf frei und bestätigte ihn als Patriarchen des von ihm gestifteten Instituts der Beguinen. Nach Lüttich zurückgekehrt, starb er sechs Monate darauf, nachdem er seine letzten Kräfte der Befestigung seines wohlthätigen Werks gewidmet hatte, im Jahre 1187.
Die Beguinen vermehrten sich ungemein schnell, nicht allein in Lüttich, sondern auch in den ganzen Niederlanden, in Frankreich und Deutschland. In den Niederlanden wurden alle Beguinenhöfe nach dem Vorbilde des Lütticher angelegt, eine Anzahl sich stets vermehrender kleiner Häuser mit einer Kirche außerhalb der Städte, so daß sie eigentlich Vorstädte oder Dörfer bildeten, und von den Nonnenklöstern auch in der äußern Gestalt wesentlich verschieden waren. Erst in spätern Jahrhunderten sind sie wegen der Kriegsdrangsale, welchen sie allzu sehr ausgesetzt waren, durch die Ringmauer hier und da in die Städte aufgenommen worden. Zu Ende des 13. Jahrhunderts gab es fast keine belgische Stadt, welche nicht ihren Beguinenhof hatte.
Diese ungemein rasche Vermehrung und Ausbreitung des Beguineninstituts lieferte den Beweis, daß dadurch einem moralischen, socialen und nationalen Bedürfniß Ausdruck und befriedigende Gestalt gegeben war.
Wie die Beguinenhöfe in der äußern Gestalt und innern Einrichtung nichts mit den Nonnenklöstern gemein hatten, so waren auch die Gesetze, nach welchen die Beguinen zusammenlebten, von den Ordensregeln der Nonnen sehr verschieden, und es wäre nichts Verkehrteres, als sie für Nonnen von einer leichten Observanz zu halten. Wenn die Nonne, von welchem Orden sie auch sei, stets an eine mehr oder minder strenge Ordensregel gebunden war, hatte die Beguine höchstens sich eines nüchternen, mäßigen Lebens zu befleißigen. Gar oft war das Gegentheil der Fall, ohne daß die Beguine dadurch ihrer Stellung im Bunde verlustig worden wäre. Das Gelübde der Nonne lautet auf Gehorsam und Keuschheit für ihr ganzes Leben; die Beguine verspricht den Vorsteherinnen der Anstalt nur für die Dauer ihres Aufenthaltes im Beguinenhof Gehorsam, und von einem Keuschheitsgelübde ist bei ihr keine Rede. Die Nonne ist für die Lebensdauer an ihr Kloster gebunden; die Beguine kann zu jeder Zeit, wenn es ihr beliebt, die Anstalt verlassen, um in die Ehe oder ein anderes Verhältniß zu treten. Die Nonne tritt bei der Einkleidung ihre sämmtliche Habe dem Kloster ab; die Beguine behält die freie Verfügung über ihr Eigenthum. Die Nonne trägt ihre streng vorgeschriebene Ordenskleidung, die Beguine zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten eine verschiedene Tracht und ist nur vorschriftlich verpflichtet sich, einfach
[397]und anspruchslos zu tragen. Der Unterhalt der Nonne wird aus dem gemeinsamen Klostergute bestritten; die Beguine lebt vom Abwurf ihres Vermögens, von der Unterstützung ihrer Familie ober Freunde, oder von ihrer Arbeit, und wird nur, wenn sie arm und gebrechlich oder sonst arbeitsunfähig ist, auf Kosten der Anstalt verpflegt. Das gemeinsame Eigenthum der Beguinenschaft eines Hofes besteht nur in den Häusern, im Krankenhause und in der Kirche. Das Krankenhaus war stets das Hauptstück des gemeinsamen Eigenthums, und ihm gehörten alle Einkünfte der Anstalt, die der Kirche ausgenommen, und aus der Casse des Krankenhauses wurden alle gemeinsamen Ausgaben bestritten, wie die Armenpflege, die Bau- und Reparaturkosten, insoweit sie den ganzen Hof betreffen, als für Wege, Brücken, Gräben, Zäune etc. Die Bau- und Reparaturkosten der einzelnen Häuser hatten dagegen die Bewohnerinnen selbst zu zahlen.
In den kleinen Häusern wohnen sie entweder einzeln, oder selbander, zu drei, höchstens zu vier beisammen, je nach Vermögen, Verdienst oder Neigung; denn sie müssen der Anstalt einen Miethzins entrichten, der den Armen und Erwerbsunfähigen erlassen wird. Jede Beguine führt aber auf ihre Kosten ihre eigne Wirthschaft. Wenn eine Beguine sich aus ihren Mitteln ein Häuschen baut, so fällt dieses nach ihrem Tode der Anstalt zu.
Ihre häusliche Einrichtung darf nur sehr einfach sein. Ihr Erwerb kommt aus Handarbeit oder Unterrichtgeben. Sie weben, nähen, stricken, sticken, verrichten auch Hülfsarbeiten anderer Art in den Häusern, wohin sie bestellt werden; sie unterrichten junge Mädchen in allen weiblichen Handarbeiten, ferner im Lesen, Schreiben, Rechnen etc. – Mit Erlaubniß der Vorsteherin darf die Beguine in die Stadt gehen und dort einem Erwerb obliegen. Eine strenge Controlle wäre schon wegen der vielen einzelnen Häuser nicht möglich. So gleichen sie in vieler Hinsicht den Insassen der Schwesterhäuser in den Herrnhutergemeinden.
Auf diese Weise blieb die Beguine in steten lebendigen Wechselbeziehungen mit dem Volke und bildete das Mittelglied zwischen der Klosterfrau und der Frau der Gesellschaft, und da die Gesetze ihrer Körperschaft sehr dehnbar waren und sich leicht der fortschreitenden Bildung der Zeit anbequemten, so erhielt sie sich, freilich unter verschiedenen Modulationen, bis auf unsere Tage.
Da die Beguinen nicht, wie die Mönchsorden, eine festgestellte und vom Papst bestätigte oder gegebene Regel hatten, sondern nur einfache Verordnungen, von den Bischöfen für ihre Diöcesen gemacht, so mußten ihre Regulative in den verschiedenen Beguinagen
[398] oder Beguinerien zu verschiedenen Zeiten von einander abweichen, doch gehen durch alle nach Zeit und Ort weit auseinanderliegenden bischöflichen Verordnungen wesentliche Grundzüge hindurch, so daß sie vom Ende des 13. Jahrhunderts an ziemlich übereinstimmende Statuten haben.
Das Institut gewann eine festere Gestaltung, als die Diöcesanbischöfe in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts den meisten Beguinenhöfen die Trennung von den Parochialkirchen und ihre Constituirung als besondere Kirchspiele mit ihrem eigenen Pfarrer zugestanden. Von nun an bilden die Pfarrer mit den Vorsteherinnen (magistrae principalis) die verwaltende und polizeiliche Behörde der Anstalt. Die Zahl der Vorsteherinnen wechselt von zwei bis acht.
Aus den mannigfachen bischöflichen Verordnungen im Laufe der Zeit geht hervor, daß es nicht immer zum Anständigsten in den Beguinerien hergegangen sein mag. So wurde ihnen verboten, Männer bei sich zu beherbergen, in der Stadt ohne Erlaubniß der Magistra herum zu laufen, Abends vor der Hausthüre zu sitzen, unanständige Lieder zu singen etc. Eine andere bischöfliche Verordnung verbietet ihnen überhaupt zu singen und Musik zu treiben. Bei Strafe wird ihnen die Betheiligung an Arbeiten zu Hochzeiten und Festlichkeiten verboten und junge Hunde zu halten. Wenn eine Beguine der Unkeuschheit überführt wird, so wird ihr ihr bestes Bett genommen und sie als ehrlos vom Hofe gejagt. Wenn eine Beguine heiraten will, so soll sie sofort nach der Verlobung ihr Hausgeräth zusammenpacken und abziehen, sonst wird sie um 12 Gulden gestraft.
Farbe und Schnitt der Kleidung wurden allmählich auch gleichmäßiger, doch hat die erstere immer zwischen schwarz, grau und blau gewechselt. Der Hauptsitz des Beguinenwesens war stets in Gent, wo noch immer zwei Beguinenhöfe bestehen, der große und der kleine. Deshalb ist die Tracht der Genter Beguinen zumeist maßgebend für die übrigen Beguinenhöfe des Landes.
Den behaarten Theil des Kopfes bergen sie in einer einfachen leinenen Haube ohne Besatz, mit Bändern unterm Kinn befestigt. Diese gewöhnliche Frauennachtmütze heißt franzosisch béguin, béghin, béguinet und flämisch begyne, und gilt sonach als integrirender Theil für das Ganze, und es ist heut zu Tage sehr charakteristisch, daß die Nachtmütze Repräsentantin der Beguine ist. Die Genter Beguinen legen über den vorderen Rand dieser Haube eine fast handbreite Binde, deren Zipfel ebenfalls unter dem Kinne zusammengesteckt werden. Die Löwener haben diese Binde nicht. Ueber Haube (und Binde) wird das eine Elle breite und fast zwei Ellen lange leinene Tuch gelegt, dessen vorderer Rand von der Stirn zu beiden Seiten bauschig absteht, dessen linker Zipfel unter dem Kinn hingezogen an der rechten Schläfe mit einer Stecknadel befestigt wird. Dieses Tuch war die Kopfbedeckung der Frauen des 13. Jahrhunderts überhaupt und wird noch jetzt von Nonnen verschiedener Orden und anderen weiblichen frommen Genossenschaften getragen. Die Beguinen des großen Hofs in Gent legen das Tuch glatt an die Stirn und belegen die vom kleinen Hofe, welche es bauschig tragen, mit dem Spottnamen „Hornträgerinnen“, zum Beweis, daß die Schalkhaftigkeit der weiblichen Natur nicht in der Frömmigkeit der Schwestern untergegangen ist. [412] Die charakteristische Eigenthümlichkeit des Beguinenwesens ist die Freiheit der Schwestern, zu jeder Zeit und ohne alle nachhaltige Verpflichtung in die bürgerliche Gesellschaft zurückzutreten. Daraus erklärt sich, daß man nur ältere Frauen in den Beguinenhäusern sieht und es gleichsam feststehende Regel geworden ist, daß ein unverehlichtes Weib nicht vor dem 40. Lebensjahre Beguine wird, eine Regel, die sogar durch päpstliche Bullen sanctionirt worden ist. Dieses Lebensalter und das ruhige Temperament der Niederländerinnen [413] bewirken, daß galante Unordnungen jetzt nicht mehr in den Beguinenhöfen vorkommen, wie zur Zeit ihrer Blüthe im 13. und 14. Jahrhundert, wo auch junge Mädchen in die Beguinengemeinschaft traten. Schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts kam die Beguinage in Verfall, und jetzt gehört sie zu den wunderlichen Exuvien des Mittelalters, die, gleich Fetzen einstiger Prachtgewänder, am Staatskörper hängen geblieben sind und ohne Bedeutung für die Gewandung der Gegenwart in der Luft flattern.
Die Beguinen gehören heute mit zu den auffallenden Gegensätzen, die in constitutionellen katholischen Staaten sich immer schärfer herausbilden und den letzten schwachen Kampf einer untergegangenen Zeit mit der Gegenwart und der Zukunft repräsentiren. Die Freiheit der Verfassung gestattet den Resten mittelalterlicher Institutionen, sich bis zum vollständigen Marasmus auszuleben, und das kümmerliche Flämmchen verlischt nicht eher, als bis es das letzte Tröpfchen Oel verzehrt hat. In keinem Lande der Welt tritt dem Fremden dieser Contrast auf jedem Tritt und Schritt in die Augen springender entgegen, als in Belgien, das in dieser Beziehung ein wahrer Januskopf ist, dessen jugendliches, vorwärtsschauendes Antlitz von den großartigen Fortschritten der Neuzeit, von Preßfreiheit, Glaubens-, und Cultusfreiheit, Redefreiheit, Eisenbahnen und von einem auf republikanische Grundlagen erbauten Königsthron mit allen aus solchen Staatseinrichtungen entspringenden Pertinentien erzählt, und dessen gealtertes, rückwärtsschauendes Gesicht noch von einer nicht geringen Anzahl mittelalterlicher matt und schwach gewordener Lebenseinrichtungen weiß, von conservirten und restaurirten Institutionen, Mumien und Versteinerungen aus längst vergangener Zeit, denen nur noch ein Scheinleben beiwohnt.
Ein solcher versteinerter Zug im Greisenantlitz des Landes ist das Beguinenthum. Daß es sich bis jetzt, wenn auch nur kümmerlich, erhalten hat, läßt sich nur aus dem germanischen Volkscharakter der Niederländer erklären, der die Freiheit für das höchste Gut hält und an althergebrachten bewährten Lebensformen mit Zähigkeit hängt. Ein kritisches Urtheil des Bischoff Malderus von Antwerpen, vom Jahre 1630, paßt noch heute: „Das Beguineninstitut ist freilich kein geistlicher Orden, aber doch eine fromme Genossenschaft, und in Beziehung auf jenen vollkommneren Stand als eine Vorschule zu betrachten, in welcher das zur Andacht geneigte weibliche Geschlecht in Belgien auf eine der Sinnesart und dem Charakter des Volkes sehr angemessene Weise lebt. Denn dieses Vok ist eifersüchtig auf seine Freiheit und will sich lieber leiten, als zwingen lasten. Obgleich es ohne Frage verdienstlicher ist, sich durch die feierlichen Gelübde der Keuschheit, des Gehorsams und der Armuth dem Himmel zu weihen, und es auch sehr viele fromme Frauen in Belgien giebt, die diese Gelübde der That nach zu halten geneigt sind, so scheuen doch die meisten das unwiderrufliche Versprechen. Sie wollen lieber unverbrüchlich keusch sein, als unverbrüchliche Keuschheit geloben; sie wollen wohl gehorchen, aber ohne sich zum Gehorsam förmlich zu verbinden; lieber in mäßigem Genuß ihres Vermögens der Armuth sich befleißigen, als ihr Eigenthum auf einmal gänzlich aufgeben, wodurch sie sich auch die Möglichkeit nehmen würden, den Armen, die es verdienen, nach Kräften wohlzuthun. Sie wollen sich lieber in freier Knechtschaft stets von Neuem unterwerfen, als sich ein für allemal gefangen geben, um so durch die täglich wiederholte freiwillige Entsagung das mangelnde Verdienst der ewigen Einschließung einigermaßen zu ersetzen.“
Die heutigen Beguinenhöfe, die auch hinsichtlich der Anzahl ihrer Bewohnerinnen sehr heruntergekommen sind (der große Hof in Löwen, der in seiner Blüthe über 400 Bewohnerinnen zählte, hat jetzt deren kaum 60, und der kleine gar nur 7), sind eigentlich nur Hospitäler, Versorgungsanstalten für alte Jungfern und Wittwen, und derjenige würde sehr irren, der da meinte, es ginge darin besonders idyllisch oder heilig zu.
Noch verdient bemerkt zu werden, daß man Jahrhunderte lang bemüht gewesen, auf den Grund von (falschen) Urkunden das Beguineninstitut von der heiligen Begga, Fürstin von Brabant, als Stifterin (gegen Ende des siebenten Jahrhunderts), herzuleiten. Dieser Irrthum ist in unserer Zeit mit deutscher, kritischer Gründlichkeit von Dr. E. Hallmann in Berlin erschöpfend nachgewiesen worden.
Die Beguinenhöfe in Deutschland (fast jede bedeutendere Stadt hatte einen solchen) erhielten sich unter mancherlei Bedrückungen und Verfolgungen von Seiten der Bettelorden, doch eben so oft von Päpsten, Landesfürsten und Synoden beschützt, bis über das Zeitalter der Reformation hinaus. Merkwürdiger Weise wurden die Beguinen frühzeitig Anhänger der neuen Lehre und hießen dann Seelweiber, weil sie die Seelsorge des weiblichen Geschlechts sich aneigneten. Schon im 13. und 14. Jahrhundert hatten sie die verfolgten Spiritualen der Franziskaner, die sogenannten Fratricellen [414] so wie die Brüder und Schwestern des freien Geistes in sich aufgenommen und wurden von der Inquisition als ketzerische Secte verfolgt. Diese Verfolgung von Bischöfen, Concilien und Päpsten erstreckte sich über Frankreich, Italien und Deutschland. Die niederländischen Beguinen waren ausdrücklich davon ausgenommen. Wo jetzt noch in einzelnen deutschen Städten sogenannte Beguinenhäuser bestehen, da sind es nur Hospitäler oder Armenhäuser für hilfsbedürftige, unverheirathete Frauen aus dem Bürgerstande.
Nach dem Vorbilde der Beguinen entstanden zu Anfang des 13. Jahrhunderts auch ähnliche Männervereine, welche sich Begharden nannten, sich ebenfalls nach Deutschland und Frankreich verbreiteten, aber schon gegen das Ende des Jahrhunderts als verächtliche und ketzerische Müßiggänger von päpstlichen Bullen, wie von der öffentlichen Meinung verfolgt wurden. In den Niederlanden erhielten auch sie sich reiner, doch verschwinden sie auch hier schon im 14. Jahrhunderte wieder.
Ein Beghardencollegium war eine Gesellschaft eheloser Männer, die zusammen beteten, arbeiteten und aßen, aber keine Gütergemeinschaft hatten. Sie standen unter einem Magister, dem sie Gehorsam versprachen, insofern es das Wohl der Gesellschaft erforderte. Sie hatten ebenfalls keine Regel und konnten, wenn es ihnen beliebte, die Gesellschaft verlassen. Ihre Tracht war einfach, braun, weiß, schwarz oder grau. Viele dieser Gesellschaften traten im Laufe der Zeit in die dritte Regel der Franziskanermönche, andere bestanden fort bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts, wo sie vom Papst Innocenz X. den Tertiariern beigesellt wurden. In Deutschland waren sie schon längst wieder verschwunden. Eine ganz ähnliche Verbindung waren die Lollharden, ebenfalls in den Niederlanden und Deutschland zumeist und um dieselbe Zeit blühend, wie die Beguinen und Begharden, oft mit diesen zusammenschmelzend und zuletzt ebenfalls im dritten Franziskanerorden aufgehend.
Alle diese Erscheinungen im kirchlichen Leben des Mittelalters sind Versuche des deutschen Geistes, gegenüber dem Andrängen und Eindringen des Orientalismns in die germanische Bevölkerung des Abendlandes in Gestalt des Klosterwesens, seinem ursprünglichen nationalen Freiheitsgefühl zu genügen und selbst im religiösen Vereine sich frei zu bewegen. Sie verdienen daher als Manifestationen des Germanismus gerechte Beachtung und Würdigung.
Nach der großen Künstlerversammlung in Antwerpen 1861 bereiste ein deutscher Maler die alten flandrischen Städte und wurde in Brügge wie in Gent von der Erinnerung an einige in neuester Zeit bekannt gewordene Geschichten der Beguinen bestimmt, einen Blick in die alten seltsamen Wohnsitze dieser Körperschaft zu thun.
In hohem Grade gespannt auf die Einrichtungen und das Wesen dieser Halbreligiosen, von dem man ihm so Eigenthümliches berichtet hatte, fragte er sich in Brügge nach dem abgelegenen Quartier durch, wo die Beguinen hausen, und folgte dann den Schritten einer in eigenthümliche dunkle Gewänder gekleideten Frau, die er der Beschreibung nach als eine Beguine erkannte. Sie ging endlich einem alterthümlichen Gebäude zu, welches, jenseits des Flüßchens liegend, mit der Stadt durch eine ziemlich bedeutende Steinbrücke verbunden war, und verschwand in einem großen Thorwege. Der Maler stand vor dem „Prinselyk Beggynhof“ und trat hinein, ohne von einer Pförtnerin oder einem sonstigen einköpfigen Cerberus belästigt zu werden. Ebenso unbehindert durchschritt er die engen Straßen der keinen Stadt mit ihren alterthümlichen Häuschen.
Sie machte zwar wegen ihrer großen Sauberkeit keinen verletzenden, aber doch wegen der überall herrschenden schrecklichen Oede einen unheimlichen und schläfrigen Eindruck auf unsern lebensfrohen Künstler. Die hellen Strahlen einer vollen Augustsonne reflectirten von den schneeweißen Mauern der engen Gäßchen, wo von Zeit zu Zeit eine düstere Mönchsgestalt auftauchte, die eben so schnell wieder in die Thüre eines der Häuschen huschte. Das war eine Todtenstadt, in welcher das Gespenst des Mittelalters, verbleichend im Sonnenstrahl der Neuzeit, umherschlich oder sich vielmehr scheu verkroch.
Wenn unser kunstbegabter Landsmann auch gerade nicht auf galante Abenteuer ausgegangen war und nicht erwartet hatte, classischen Schönheiten zu begegnen, die er in sein Skizzenbuch aufnähme, so wurde er doch durch den Anblick der einzelnen frommen Schwestern, der ihm in sehr spärlicher Weise zu Theil wurde, dermaßen frappirt, daß der Begriff „schönes Geschlecht“ in Gefahr kam, gänzlich in ihm zu Schanden zu werden, und er behauptete: wenn ihre Keuschheit und Tugend ihrer Form angemessen sei, wie zu erwarten stände, so müßten sie wahre Musterbilder eines heiligen Lebens sein. Der Maler stand von jedem Versuch ab, sich mit diesen Brügger Antiquitäten in Berührung zu setzen.
Im großen Beguinenhofe in Gent sah er bald darauf die Baulichkeiten denen des Brügger sehr ähnlich, aber die schmalen Gänge der Gäßchen belebt; denn die Kirche war eben aus, und dem kleinen Ausgange entquoll die große Anzahl der schwarz-weißen Beterinnen. Wie die Fünkchen auf der Kohle eines soeben verbrannten Papiers, eilten sie einige Minuten hierhin und dorthin, theilten sich, verschwanden, und die Ruhe des Kirchhofs lagerte sich auch über dieser seltsamen kleinen Stadt, die, eine Schöpfung längst vergangner Zeit, so gespenstisch belebt und so fremdartig in unsre Tage hereinragt, und in welcher ein deutscher Künstler der Gegenwart wie in einem räthselhaften Irrgarten der religiösen Romantik, die uns „ein Buch mit sieben Siegeln“ geworden ist, herumstieg, um für die „Gartenlaube“, dieser weitverbreiteten Leuchte der Gegenwart, einige Skizzen zu zeichnen, die uns zu den Illustrationen unsres Aufsatzes gedient haben.